40. Internationales Wiener Motorensymposium
Klimaneutrales Fahren in 2050: Optionen zur vollständigen Defossilisierung des Transportsektors. Betrachtungen auf Basis der „FVV-Kraftstoffstudie 2018”
Autoren
Dr. U. Kramer, FORD, Köln; S. Stollenwerk, innogy, Essen; F. Ortloff, DVGW, Karlsruhe; Dr. X. Sava, BASF, Ludwigshafen; Dr. A. Janssen, Shell, Hamburg; S. Eppler, Robert Bosch, Ludwigsburg; H. Schüle, CPT Group, Regensburg; A. Döhler, Opel, Rüsselsheim; R. Otten, Audi, Ingolstadt; Dr. M. Lohrmann, VW AG, Wolfsburg; Dr. L. Menger, BMW, München; S. Barth, Honda R&D Europe, Offenbach; W. Kübler, MAN, Nürnberg; R. Thee, FVV, Frankfurt
Jahr
2019
Druckinfo
Fortschritt-Berichte VDI, Reihe 12, Nr. 811
Zusammenfassung
In Anlehnung an das Klima-Aktionsprogramm 2050 muss Deutschland bis zum Jahr 2050 weitgehend klimaneutral werden, das heißt nahezu sämtliche Treibhausgasemissionen vermeiden. Dabei ist die angestrebte Klima-Neutralität des Transportsektors (komplette Defossilisierung) ohne den konsequenten Verzicht auf fossile Kraftstoffe nicht möglich. Um Lösungen der vollständigen Defossilisierung des Transportsektors zu finden und zu bewerten, hat ein branchenübergreifendes Team von Forschern und Ingenieuren aus der Automobilindustrie, der chemischen Industrie, der Mineralölindustrie und von einem Energieversorger unter der Koordination der „FVV-Kraftstoffgruppe“ verschiedene Lösungen für eine vollkommene (100 %) CO2-Neutralität im deutschen Transportsektor erarbeitet.
Um den Vergleich der erarbeiteten Optionen zur Defossilisierung möglichst einfach und fair zu gestalten, wird für jedes der erarbeiteten Szenarien angenommen, dass 100 % der deutschen Fahrzeugpopulation (Pkw und Lkw) auf die jeweilige Technologie umgestellt würden. Obwohl solche 100 %-Szenarien sehr unwahrscheinlich und nur von theoretischer Natur sind, erweisen sie sich doch als sehr geeignetes Werkzeug für einen einfachen und fairen technischen und ökonomischen Vergleich verschiedener Technologiepfade.
Hauptfokus dieser Studie ist ein quantitativer ökonomischer Vergleich zum einen der „Mobilitätskosten“ (Kraftstoffproduktionskosten, Infrastrukturaufbaukosten und Fahrzeugwertverlust) und zum anderen des Primärenergiebedarfs der verschiedenen Kraftstoff-Antriebsstrangkombinationen. Nachfolgend sind die drei betrachteten Hauptpfade aufgeführt. Dabei stammt sämtliche verwendete Energie ausschließlich aus erneuerbaren Quellen (Windenergie und Solarenergie):
1. Direkte Nutzung elektrischer Energie in batterieelektrischen Fahrzeugen (BEV).
2. Zentrale und dezentrale Wasserstoff-Produktion zur Nutzung in Brennstoffzellenfahr-zeugen (FCEV).
3. e-Kraftstoffe (auch PtX-Kraftstoffe), hergestellt mit CO2 aus der Umgebungsluft, zur Verwendung in Verbrennungsmotoren.
Für jedes Szenario werden jeweils ein Minimalkostenszenario und ein Maximalkostenszenario erarbeitet. Dabei werden Elektrizitätskosten für verschiedene Produktionsstandorte (Deutschland vs. Mittlerer Osten und Nordafrika (MENA)), Elektrolyse- und PtX-Synthesewirkungsgrade, die Kosten für den notwendigen Ausbau einer Verteilinfrastruktur und des Stromnetzes sowie Fahrzeugkosten variiert.
Neben dem rein elektrischen Pfad und den beiden Wasserstoffpfaden (zentral und dezentrale Herstellung) werden insgesamt acht verschiedene e-Kraftstoff-Optionen analysiert. Diese beinhalten zwei e-Methan-Szenarien, e-Methanol, e-DME, e-OME, und drei Fischer-Tropsch-Kraftstoffe (e-Benzin, e-Diesel und e-LPG).
Wie erwartet ergibt sich der niedrigste Energiebedarf für das rein elektrische Szenario. Basierend auf dem realen Kraftstoffverbrauch (Pkw und Lkw) in Deutschland in 2015 in Höhe von 560 TWh kann der Primärenergiebedarf für das rein elektrische Szenario auf 249 – 325 TWh pro Jahr reduziert werden. Abhängig vom jeweiligen Szenario liegt der Faktor “Primärenergie Brennstoffzellenfahrzeug (zentral H2) / Primärenergie BEV” im Bereich von 1,8 – 2,0; der Faktor “Primärenergie e-Methan / Primärenergie BEV” im Bereich von 2,7 – 3,1, und der Faktor “Primärenergie e-FT-Diesel/Benzin / Primärenergie BEV” etwa im Bereich von 3,3 – 3,8. Diese Faktoren sind noch ohne die Berücksichtigung jeglicher Hybridisierung, der mit e-Kraftstoff betriebenen Verbrennungsmotoren und ohne jeglichen Heizbedarf in den Wintermonaten gerechnet.
In der Realität durchdringt die Hybridtechnologie derzeit bereits den Fahrzeugmarkt in beträchtlichem Umfang, so dass davon auszugehen ist, dass Hybridtechnologie in naher Zukunft zur Standardtechnologie werden wird. Hybridisierung verbessert die Effizienz des Fahrzeugs, führt allerdings auch zu höheren Fahrzeugkosten. Sowohl der Kraftstoffverbrauchsvorteil, als auch der Mehrpreis hängen dabei signifikant vom verwendeten Hybridsystem (Mild-Hydrid oder Voll-Hybrid), sowie dem Basisfahrzeug und dem Fahrzyklus ab.
Für eine Parametervariation im Rahmen dieser Studie wird ein “Durchschnittshybridsystem” angenommen, mit den durchschnittlichen Kosten und Effizienzvorteilen von Mild- und Vollhybridsystemen. Als Effizienzvorteil werden 15 % angesetzt, für den Aufpreis gegenüber dem Pkw-Basisfahrzeug € 1.460. Weiterhin wird im Rahmen der Parametervariation der Einfluss des Ganzjahresbetriebs auf den Wirkungsgrad (für Deutschland) abgeschätzt. Der bis dahin ausschließlich verwendete Basisdatensatz bezieht sich auf Betriebsbedingungen mit 20 °C Umgebungstemperatur ohne die Berücksichtigung erforderlicher Batterie- und Fahrgastraum-Heizmaßnahmen.
Sowohl Hybridisierung als auch Ganzjahresbetrieb führen zu einer Reduktion der Differenz des Primärenergiebedarfs zwischen dem batterieelektrischen Fahrzeug und dem Brennstoffzellenfahrzeug bzw. der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Unter Berücksichtigung beider Einflüsse, Hybridisierung und Ganzjahresbetrieb, erfordert der Pfad „Brennstoffzellenfahrzeug“ 1,6 – 1,8-mal so viel Primärenergie wie das batterieelektrische Szenario, das e-Methan (HPDI) Szenario erfordert 2,1 – 2,5-mal so viel und das e-FT-Diesel/Benzin(50/50)-Szenario 2,6 – 3,0 mal so viel Primärenergie.
Die Mobilitätskosten (Kraftstoffkosten + Infrastrukturkosten + Fahrzeugwertverlust) aller Szenarien liegen, im Rahmen der Vorhersagegenauigkeit, in einem ähnlichen Rahmen. Dabei dominiert der Fahrzeugwertverlust die Mobilitätskosten signifikant. Da insbesondere die zukünftigen Mehrkosten von batterieelektrischen Fahrzeugen und Brennstoffzellenfahrzeugen sehr schwer voraussagbar sind, ist die Unschärfe der Studie an dieser Stelle relativ groß.
Bei Berücksichtigung von Hybridisierung und Ganzjahresbetrieb befindet sich das Brennstoffzellenfahrzeug auf demselben Mobilitätskostenniveau wie das batterieelektrische Fahrzeug (Faktor 1,01 -1,02). e-Methan kann bis zu etwa 20 % günstiger sein (Faktor 0,82 – 0,99), e-FT-Diesel und -Benzin(50/50) können etwas günstiger sein als der rein elektrische Pfad, aber auch etwas teurer (Faktor 0,88 – 1,09).
Aus den Mobilitätskosten werden, auf WtW-Basis heutiger fossiler Kraftstoffe, CO2–Vermeidungskosten für die unterschiedlichen Pfade abgeleitet. Die niedrigsten Pkw-CO2–Vermeidungskosten können bei 8 €/tCO2 mit e-Methan (ohne Hybridisierung) erreicht werden. Das ist 8,4-mal weniger als die minimalen Pkw CO2–Vermeidungskosten für den batterieelektrischen Pfad (67 €/tCO2), sogar dann, wenn ein Ganzjahresbetrieb nicht berücksichtigt wird. Ein 50/50 e-FT-Diesel/Benzin-Mix würde mindestens Pkw-CO2–Vermeidungskosten in Höhe von 197,5 €/tCO2 mit sich bringen. Die maximalen Vermeidungskosten (als Maßzahl für die „Kostenrisiken“) für batterieelektrische Fahrzeuge belaufen sich auf 978 €/tCO2, was etwa 1,8-mal höher ist als das Kostenrisiko für e-Methan (547 €/tCO2) und 1,3-mal höher für einen 50/50 e-FT-Diesel/Benzin-Mix (755 €/tCO2).
Die minimalen CO2–Vermeidungskosten für Lkw werden mit e-DME bei 95 €/tCO2 erzielt. Das ist 1,8-mal weniger als die minimalen Lkw CO2–Vermeidungskosten für elektrische Fahr-zeuge (168 €/tCO2). Ein 50/50 e-FT-Diesel/Benzin-Mix erfordert mindestens 213 €/tCO2 (1,3 x elektrischer Pfad). Die maximalen Vermeidungskosten (Kostenrisiko) für elektrische Lkw belaufen sich auf 739 €/tCO2, was etwa 1,4-mal mehr ist als für e-Methan HPDI (541 €/tCO2), aber nur 90 % der maximalen Vermeidungskosten für ein 50/50 e-FT-Diesel/Benzin-Mix (815,5 €/tCO2).
Die komplette Defossilisierung des Transportsektors in Deutschland erfordert enorme finanzielle Anstrengungen. Die entscheidenden Unterschiede zwischen den drei Hauptpfaden (PtX, Brennstoffzelle und batterieelektrisches Fahrzeug) ist die Verteilung der Investitionen auf die Branchen, in die investiert werden muss.
Während für die Defossilisierung mittels Wasserstoff / Brennstoffzelle alle involvierten Partner (Energieversorger, Kraftstoffindustrie, Infrastruktur-Betreiber und Automobilindustrie bzw. der Endkunde) erhebliche Investitionen tätigen müssen, fallen bei allen PtX-Pfaden die zu tätigenden Investitionen fast ausschließlich bei den Energieversorgern (Bereitstellung der elektrischen Energie) und den Betreibern von Kraftstoffproduktionsanlagen an. Im batterieelektrischen Szenario fällt der Hauptinvestitionsbedarf bei der Energieversorgung, dem Infrastrukturaufbau und bei der Netzerweiterung sowie vor allem bei den Mehrkosten für die Fahrzeuge an. Die erforderlichen Investitionen in die Infrastruktur, insbesondere den Netzaufbau, hängen sehr stark von Annahmen zum Ladeverhalten der Kunden ab und sind daher schwierig vorauszusagen.
Abhängig vom Pfad belaufen sich die Gesamtinvestitionskosten auf € 266 Milliarden – € 1.740 Milliarden. e-Methan weist den niedrigsten Investitionsbedarf auf (mindestens € 266 Milliarden). Ein 100 % batterieelektrisches Szenario erfordert mindestens € 364 Milliarden Investment. Die Differenzen sind erheblich größer, wenn die “Investitionsrisiken” (Maximalkosten-Szenarien) betrachtet werden. Die höchsten Investitionsrisiken weisen das Wasserstoff-Szenario (€ 1.442 Milliarden) und das batterieelektrische Szenario (€ 1.317 Milliarden) auf. Das niedrigste Investitionsrisiko zeigt sich für e-Methan (€ 796 Milliarden) und e-Methanol (€ 818 Milliarden), gefolgt von DME (€ 955 Milliarden) und FT Diesel/Benzin (€ 972 Milliarden).
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