Mehr Optionen für eine CO2-neutrale Mobilität durch Wasserstoff

19. Oktober 2023

44. Internationales Wiener Motorensymposium 2023

Wasserstoff-Verbrennungsmotoren sind relativ einfach umsetzbar, robust, vergleichsweise kostengünstig und benötigen deutlich geringere Kühlerflächen als etwa die Brennstoffzelle. Die EU stuft schwere Nutzfahrzeuge mit Wasserstoffmotoren sogar als abgasfrei ein, sofern sie grünen Wasserstoff verbrennen. Beim 44. Internationalen Motorensymposium in Wien diskutierten namhafte Player der Branche wie Daimler Truck, Cummins, Bosch, Magna, Hyundai, Toyota, AVL, JCB, BorgWarner oder Punch Hydrocells gemeinsam mit Wissenschaftlern die neuesten Erkenntnisse.

„Wasserstoff entwickelt sich zu einem wichtigen Energieträger der Zukunft“, sagte Stefan Hoffmann, Hyundai Motor Europe Technical Center, im Rahmen des Wiener Motorensymposiums. Die Rede ist von grünem, CO2-neutralem Wasserstoff. Er kann mit erneuerbarem Strom hergestellt und gasförmig, flüssig sowie in Wasserstoff-Derivaten wie den synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) gespeichert und transportiert werden. Ende 2021 gab es laut Chi 228 Wasserstoff-Tankstellen in Europa, 363 in Asien, davon 161 in Japan und 95 in Südkorea, sowie 82 in den USA. In Österreich kann an fünf öffentlichen Tankstellen Wasserstoff getankt werden.

Gesamte Ökobilanz berücksichtigen
Grüner Wasserstoff erlaubt laut Chi CO2-neutrale Mobilitätslösungen, wenn bei einem Fahrzeug die gesamte Ökobilanz (life-cycle) von der Bereitstellung der Energie und Rohstoffe über die Produktion bis zum Recycling oder zumindest die Energieproduktion (well-to-wheel) berücksichtigt wird. Bis jetzt konzentrieren sich EU-Emissionsgesetze nur auf die Abgase aus dem Auspuff. Ein Kilogramm gasförmiger Wasserstoff mit einem Druck von 700 bar reicht für rund 100 Kilometer mit einem Brennstoffzellen-Pkw, ein 40-Tonnen-Lkw mit Brennstoffzellen braucht für diese Reichweite im Schnitt rund 9 Kilogramm Wasserstoff. Lkw tanken meist Wasserstoff mit 350 bar, da sie mehr Platz für Tanks haben als Pkw. Zudem verursacht er geringere Betriebskosten.
Anders als für Schnellladestationen sind für Wasserstofftankstellen keine neuen Trafostationen oder Stromleitungen nötig, es kann die bisherige Tankinfrastruktur genützt und adaptiert werden, was Zeit und Geld spart. „Die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie erweitert die Auswahl an elektrischen Antrieben“, sagte EwaldWahlmüller, Manager bei Plastic Omnium New Energies Wels GmbH. Wahlmüller präsentierte einen Umrüstsatz für 4,6-Tonner auf Hybridantrieb mit Batterien und Brennstoffzellen. Damit werden diese Fahrzeuge wie rein batterieelektrische Versionen von einem Elektromotor angetrieben, der Strom dafür kommt jedoch nicht nur aus der Batterie, sondern auch aus der Brennstoffzelle. Dort wird er in einer chemischen Reaktion aus Wasserstoff hergestellt. Gegenüber rein batterieelektrischen Varianten punktet der Brennstoffzellen-Hybrid-Kleinlaster laut Wahlmüller mit höherer Zuladung, einer Reichweite von 500 statt 200 Kilometern und einer Tankdauer von weniger als fünf Minuten für 8,6 Kilogramm Wasserstoff.

33 Prozent Brennstoffzellen-Lkw bis 2040 in der EU
Laut Marius Walters, Department Manager Fuel Cell bei der Forschungsgesellschaft für Energietechnik und Verbrennungsmotoren (FEV) Aachen, wird „erwartet, dass Brennstoffzellen-Lkw ab 2025 in großem Maßstab eingesetzt werden.“ 2040 könnte der Brennstoffzellen-Anteil im Schwerlastbereich 33 Prozent in der EU, 18 Prozent in den USA und neun Prozent in China erreichen. Das wären weltweit rund 220.000 Brennstoffzellen-Schwerlaster. Derzeit sind Lkw laut einer ICCT-Studie für rund 22 Prozent der CO2-Emissionen aus dem Straßenverkehr in der EU verantwortlich. Bis 2030 muss dieser Ausstoß um 30 Prozent gegenüber 2019/2020 gesenkt werden. 2040 wollen alle großen Lkw-Hersteller nur mehr CO2-freie Antriebe anbieten.
Um den Brennstoffzellenantrieb möglichst kostengünstig darstellen zu können, setzen die Hersteller vorerst auf eine modulare Architektur. Nathan Joos von Cummins Inc. stellte etwa hochintegrierte Module vor, die sich leicht in Fahrzeuge einbauen und in großen Stückzahlen herstellen lassen.
Ein Weg, Brennstoffzellen günstiger zu machen, ist die Reduktion des Gehalts an Edelmetallen, die für die chemische Reaktion in der Zelle nötig sind und die Effizienz der Zelle mitbestimmen. Der Edelmetallbedarf entspricht ungefähr jenem eines Dieselabgasreinigungssystems. Daneben wird die Leistungsfähigkeit der Brennstoffzelle sehr stark vom Wärmemanagement bestimmt, sagte Christian Mohrdieck von der CellCentric GmbH & Co. KG auf dem Symposium. Aktuelle Brennstoffzellen brauchen viel größere Kühlsysteme als Verbrennungsmotoren. Der ohnehin beträchtliche Kühlbedarf steigt über die Lebensdauer der Brennstoffzelle durch die Alterung noch deutlich an, zeigten laut Rolf Döbereiner Tests der AVL List GmbH.

Wasserstoff in Verbrennungsmotoren: Totgesagte leben länger
Lange totgesagt, erlebt der Wasserstoff im Verbrennungsmotor weltweit eine Renaissance. Gerade für schwere Agrar-, Bau- und Minenfahrzeuge, aber auch stationäre Anwendungen wie Generatoren gilt dieser Antrieb inzwischen vielfach als attraktivste Lösung für den Umstieg vom Diesel- auf einen nichtfossilen Antrieb.
Wasserstoff-Verbrennungsmotoren haben nur im niedrigen Lastbereich einen schlechteren Wirkungsgrad als Brennstoffzellen- oder batterieelektrische Antriebe; bei Hochlast sind sie sogar besser als die Brennstoffzelle. Aber sie haben entscheidende Vorteile: Sie sind relativ einfach umsetzbar, robust, vergleichsweise kostengünstig, bieten gewohnte Reichweiten und Nutzlasten sowie kurze Betankungszeiten – und benötigen deutlich geringere Kühlerflächen als die Brennstoffzelle. Für den Umstieg auf Wasserstoffverbrennung müssen nur rund 20 Prozent der bisherigen Motorkomponenten angepasst oder neu entwickelt werden, sagte
Francesco C. Pesce von PUNCH, Turin. Anders als Brennstoffzellen verträgt ein Verbrennungsmotor auch Wasserstoff, der keine Reinheit von 99,999 Prozent aufweist und erfordert kein so aufwendiges Kühlsystem. PUNCH stellte im Herbst eine erste kommerzielle Anwendung vor, einen V8-Wasserstoffmotor für einen Generator. JCB bringt 2023 einen mit der deutschen FEV entwickelten Wasserstoff-Verbrennungsmotor für Agrar- und Baumaschinen in Serie.

Optimierung der Wasserstoffverbrennung als Herausforderung
Der Gesetzgeber in der EU stuft schwere Nutzfahrzeuge mit Wasserstoff-Verbrennungsmotoren anders als Pkw als „zero-emission vehicle“, also abgasfrei, ein. Vorausgesetzt, sie verbrennen grünen Wasserstoff. Der einzig nennenswerte Schadstoff, der hier auftritt, sind Stickoxide. Sie können mit bewährten Abgasreduktionsmaßnahmen und intelligenter Aufladung (E-Lader) beseitigt werden, zeigten Experten wie Peter Grabner vom Institut für Thermodynamik und nachhaltige Antriebssysteme der Technischen Universität Graz.
Herausfordernd ist die Optimierung der Wasserstoffverbrennung. Sehr viel Entwicklungsaufwand erfordert etwa der Injektor für die Wasserstoffeinbringung, erläuterte Jean Luc Beduneau, Entwicklungsleiter bei BorgWarner, auf dem Symposium. Westport Fuel Systems Canada Inc. profitiert hier von seiner großen Gasmotoren-Erfahrung. Hyundai arbeitet auf dem Gebiet mit Bosch zusammen.

Hyundai und Toyota sorgten auf dem Symposium mit der Vorstellung von Wasserstoff-Verbrennungsmotoren für Pkw für großes Interesse. Beide Konzerne sind derzeit weltweit führend bei Brennstoffzellenfahrzeugen, wollen aber die Antriebsauswahl für Kunden erweitern. Gemein ist allen Wasserstoffantrieben, egal, ob mit Verbrennungsmotor oder Brennstoffzellen, der aufwendige Tank. Nicht nur Fahrzeugkonzerne wie Hyundai arbeiten an kostengünstigeren Lösungen, sondern auch große Tankhersteller wie die Salzburger Aluminium Gruppe (SAG) oder Forvia Faurecia. Besonders herausfordernd sind die nötige Dichtheit der Materialien und das komplizierte Temperaturmanagement, um möglichst viel Wasserstoff in den Tank zu bekommen.
Der Zustand des getankten Wasserstoffs, gasförmig, gekühlt, flüssig oder in einer Mischform, entscheidet nicht nur über die Kosten oder den Energieinhalt, sondern auch über den Energieaufwand, der dafür jeweils nötig ist. Für Flüssigwasserstoff kann dieser laut Thomas Stepan von der SAG noch bis zu 30 Prozent der im Wasserstoff enthaltenen Energie betragen. Derzeit konzentrieren sich die meisten Fahrzeughersteller auf gasförmigen Wasserstoff, Daimler Truck testet für Lkw auch Flüssigwasserstoff. Um wettbewerbsfähig zu sein, wünschen sich Fahrzeugkonzerne Preise von maximal fünf bis sechs Euro pro Kilogramm grünem Wasserstoff (700 bar) an der Zapfsäule.

In Summe zeigt sich, dass Wasserstoff erst am Beginn einer Erfolgsgeschichte für die Mobilität ist – angekündigt wird es schon lange, jetzt sollte es Realität werden.