45. Internationales Wiener Motorensymposium: Pro Tag müssten 30 Millionen Fass Erdöl ersetzt werden
Das 45. Internationale Wiener Motorensymposium, das Ende April 2024 in der Wiener Hofburg stattfand, zeigte: Viele Wege führen zur CO2-neutralen Mobilität. „Aber der effektivste und schnellste Weg bei den Fahrzeugen wird je nach Nutzungsgruppen unterschiedlich gesehen“, sagte Bernhard Geringer, Vorsitzender des Österreichischen Vereins für Kraftfahrzeugtechnik (ÖVK), der das Symposium ausrichtet. Fakt ist, dass dafür weltweit rund 30 Millionen Fass Erdöl pro Tag durch erneuerbare Energie zu ersetzen sind.
„Die Automobilindustrie befindet sich in einer der wohl herausforderndsten Phasen ihrer mehr als 140-jährigen Geschichte“, erklärte Helmut List, Vorsitzender der Geschäftsführung der Grazer AVL List. „Es hat sich die Geschwindigkeit erhöht“, mit der sowohl Innovationen als auch Technologien auf den Markt kommen. Zudem machten Schwankungen beim Kundenverhalten sowie bei den gesetzlichen und marktpolitischen Rahmenbedingungen das Geschäft schwerer planbar. So könnte „eine milliardenschwere Investition in eine Gigafactory für Batterien schnell obsolet werden“, wenn etwa irgendwo auf der Welt eine bessere Zellchemie entwickelt wird.
Und die Batterieentwicklung steht erst am Anfang, betonten viele Expertinnen und Experten. Für Karl Rose, dem ehemaligen Chefstrategen des Ölkonzerns ADNOC (Abu Dhabi National Oil Company), „sind Batterien das Öl der Zukunft. Ich bin vollkommen überzeugt, dass wir in Europa, Amerika und China 2050 einen elektrifizierten Individualverkehr haben werden.“ Allerdings falle Europa im Bereich der Batterien Jahr für Jahr gegenüber den USA und Asien zurück, wo deutlich mehr dafür investiert werde.
Der VW Konzern will seine Abhängigkeit von Batteriezellenlieferanten zumindest senken. Batteriezellen stellen rund 40 Prozent des Wertes eines Elektroautos aus. „Unser Ziel ist es, 50 Prozent unserer Batteriezellen selbst herzustellen“, erklärte Michael Steiner, Forschungsvorstand der Volkswagen AG. Um den nächsten technologischen Sprung zu schaffen, intensiviert VW etwa die Zusammenarbeit mit Zulieferern im Bereich der Feststoffzelle. Diese gilt als schneller ladbar, reichweitenstärker, zuverlässiger, langlebiger und sicherer als aktuelle Lithium-Ionen-Zellen. Insgesamt erwartet Steiner, dass bis 2035 die Kosten für Batteriezellen um bis zu 40 Prozent sinken werden.
Umstellung auf E-Mobilität langsamer als erwartet
Deutlich langsamer als von vielen Herstellern erhofft, erfolgt die Umstellung auf batterieelektrische Mobilität insgesamt, auch in Europa. Gründe dafür gibt es viele, vom unzureichenden Stromnetz über zu hohe Fahrzeugkosten bis zur mangelhaften Ladeinfrastruktur. So sind knapp zwei Drittel der Ladestationen in der EU auf drei Länder konzentriert, machte Rose aufmerksam. Es sind dies die Niederlande, Deutschland und Frankreich. Einen spürbaren Einfluss durch Elektrofahrzeuge auf die weltweite Erdölnachfrage sieht Rose mit einem Rückgang um 1,5 Millionen Fass (159 Liter) pro Tag nach 2030. Insgesamt beträgt die weltweite Förderung aktuell rund 100 Millionen Fass Rohöl pro Tag, davon fließt rund ein Drittel in den Verkehr.
Netto-Null bis 2050
Ölkonzerne wie BP haben dennoch bereits vor Jahren mit der Umstellung auf ein Energie-Unternehmen begonnen, führte Rebecca Yates, Vizepräsidentin von BP, in Wien aus. „Ziel von BP ist es, ein Netto-Null-Unternehmen (Anm. betreffend CO2) bis 2050 oder gar früher zu werden.“ Bis 2030 verfolgt BP das strategische Ziel, etwa die Zahl der Ladestellen von derzeit 27.000 auf 100.000 weltweit zu erhöhen.
Problem: Ladeinfrastruktur für Schwerverkehr
Eine besondere Herausforderung ist der Aufbau der Ladeinfrastruktur für den Schwerverkehr. In Europa erwartet die Branche, dass auch im Fernverkehr rund die Hälfte der Lkw künftig batterieelektrisch unterwegs sein wird. Für sie ist Laden im Megawattbereich vorgesehen. Arnd Franz, Vorsitzender der Geschäftsführung des Zulieferkonzerns Mahle, sagte, dass damit Lkw-Parkplätze eigene Hochspannungsleitungsanschlüsse, aber auch viel mehr Platz brauchen werden. „Schon heute fehlen in Deutschland zirka 23.000 Abstellplätze für Lkw, für das elektrische Laden werden noch weitere 21.000 fehlende Abstellplätze dazukommen.“ Aus seiner Sicht eröffnet sich hier „eine klare Option für Wasserstoff“.
Grüner Wasserstoff gilt derzeit vor allem in Kombination mit Verbrennungsmotoren im Schwerverkehr als ein relativ schnell umsetzbarer und kostengünstiger klimaneutraler Ersatz für Diesel, wie zahlreiche Vorträge auf dem Symposium zeigten. Anders als Pkw gelten Lkw auch mit Wasserstoffmotor als „Zero-Emission-Vehicle“, wenn sie weniger als 1 Gramm CO2 pro Tonnenkilometer ausstoßen. Den ersten europäischen Lkw mit Wasserstoffmotor will MAN 2025 bringen.
Aus der Sicht von Franz von Mahle darf man aber auch synthetische Kraftstoffe nicht außen vor lassen. Diese, auch E-Fuels genannt, werden auf Basis von grünem Wasserstoff und CO2, das etwa von Industrieabgasen abgespalten wird, erzeugt. Durch die aufwendigere Erzeugung sind sie teurer und haben eine schlechtere Energiebilanz als der direkte Einsatz von grünem Strom in Batterien. Aber sie haben wichtige Vorteile: E-Fuels gelten vielfach als beste Möglichkeit, Bereiche wie die Containerschifffahrt oder den Langstreckenflugverkehr zu dekarbonisieren. Bei Biokraftstoffen als Ersatz für fossile Energiequellen im Verkehr gilt dagegen das Potenzial als begrenzt, da eine Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion vermieden werden soll.
E-Fuels inklusive grünem Wasserstoff sind auch attraktiv als Speicher für Ökostrom. Denn so lässt sich grüner Strom, wo Europa sehr stark von Importen abhängig sein wird, ebenso einfach wie Rohöl über sehr weite Distanzen transportieren. „Noch beträgt der Anteil fossiler Energiequellen bei Primärstrom in Europa fast 40 Prozent“, sagte ÖVK-Chef Bernhard Geringer. Bei der Primärenergie ist er noch viel höher.
CO2-neutralen Kraftstoffen wird auch für Pkw viel Zukunftspotenzial zugeschrieben. Umso mehr, als außerhalb von Europa kein Verbot für Verbrennungsmotoren in Pkw besteht. Gerade in Schwellenländern wie Indien wird sogar mit einem Zuwachs gerechnet. Mit nachhaltigen Kraftstoffen können auch Pkw emissionsfrei fahren, wenn die Gesamtökobilanz des Pkw berücksichtigt wird und nicht nur das Abgas aus der Abgasanlage. Und das viel preiswerter als mit batterieelektrischem Antrieb, erklärte Michael Fleiss, Geschäftsführer des Antriebsentwicklers Aurobay Europe. Laut einer Bloomberg-Studie werden 2040 weltweit 900 Millionen Verbrennungsfahrzeuge und 600 Millionen Batteriefahrzeuge unterwegs sein, so Fleiss.
Weltweit größter Hersteller von Antriebssträngen für Verbrenner entsteht in China
Aurobay wurde 2021 gegründet und umfasst die Verbrennersparte (von der Entwicklung bis zur Produktion von Motoren und Getrieben) des chinesischen Autoherstellers Geely, dessen Europa-Tochter Volvo. Eine gemeinsame Firma mit der Verbrennersparte von Renault ist noch für dieses Jahr geplant. „Diese ist dann der größte unabhaengige Powertrain-Hersteller der Welt, welcher pro Jahr fünf Millionen Powertrains weltweit produziert.“ Das Unternehmen wird moderne Verbrennungsmotoren und Getriebe auch für andere internationale Autohersteller entwickeln und bauen, die sich keine eigene Motorenentwicklung mehr leisten und voll auf den batterieelektrischen Antrieb konzentrieren wollen.
Viel Potenzial in Landwirtschaft
Besonders fordernd ist das Ziel, den ökologischen Fußabdruck im Agrarbereich zu senken. Ein Mähdrescher, der mit 25 Tonnen auf dem Feld unterwegs ist, lässt sich schwerlich auf batterieelektrischen Antrieb umrüsten. Doch Friedrich Eichler, Technikchef der Steyr-Mutter Case New Holland (CNH) Industrial GmbH, zeigte, dass die Landwirtschaft viel Potenzial für den Ausstieg aus fossilen Kraftstoffen hat. So lässt sich mit der Nutzung des Methananfalls durch die Gülle von 45 bis 100 Kühen ein kompletter Bauernhof sowohl mit ausreichend Ökostrom als auch mit Biogas für den Traktor versorgen. Methan hat über 100 Jahre gesehen das 28-fache Treibhausgaspotenzial von CO2 in der Atmosphäre. Indem es nicht wie bisher in die Luft gelangt, sondern abgesaugt und damit Kraftstoff oder Strom erzeugt wird, „erzeugen wir einen negativen CO2-Fußabdruck. Das kann kein Elektroauto zurzeit liefern“, sagte Eichler. Kleinere Traktoren und Baumaschinen werden von CNH mit batterieelektrischem Antrieb angeboten. Vor der Hofburg war ein Steyr-Traktor-Prototyp mit Brennstoffzellenantrieb ausgestellt. Der Wasserstoff dafür kann etwa aus Hackschnitzeln erzeugt werden. CNH arbeitet diesbezüglich mit einer Kärntner Firma zusammen, die ab Herbst mit der Produktion beginnen will. Wichtig für den Erfolg einzelner Technologien sei laut Eichler gerade für Bauern deren Kosteneffizienz.
Wie die rund 80 Vorträge des Motorensymposiums 2024 zeigten, „erwachsen auch Chancen aus dem gigantischen Transformationsprozess, den die Autobranche derzeit erlebt.“ (AVL-List-Chef Helmut List) Wichtig für die Zukunftsabsicherung der europäischen Autoindustrie ist fürMichael Steiner von VW: „Wir müssen uns mehr denn je nach den Anforderungen des Kunden ausrichten und nicht nach dem, was wir für richtig und das Beste halten.“ Helmut Eichlseder, Vizevorsitzender des ÖVK, sah in seiner Schlussrede noch große Herausforderungen für die Branche und die Gesetzgeber auf dem Weg zur klimaneutralen Mobilität: „Für alle Antriebe (Anm. batterieelektrische, Brennstoffzellen, Verbrennungsmotoren) ist die regenerative Energiebereitstellung entscheidend, zusammen mit der erforderlichen Infrastruktur ist das eine bisher nicht vollständig durchdachte Mammutaufgabe.“